Sage ich zu Miss Sofie, finde, dass der Titel von John Greens Buch die
Situation dieses Flugzeugabsturzes sehr gut trifft und kann meinen Zorn darüber
kaum bremsen. Was ist das denn aber auch für eine Gemeinheit, sechzehn Schüler
erst im Glauben zu lassen, sie wären Glückskinder, weil sie bei der Verlosung
für einen Schüleraustausch gewonnen haben, und sie dann eiskalt in den Tod zu
schicken.
„Das ist doch voll der Hohn“, schimpfe ich und frage mich, wie sich die
Schüler jetzt fühlen, die damals verloren haben, nun aber die Lucky Loser sind.
Ich muss an Opa Knackstedt denken, der mir mal erzählt hat, dass sein
Vater, der im ersten Weltkrieg kämpfte, nie verwunden hat, dass neben ihm
mehrere Kameraden von Kugeln zerfetzt wurden, während er überlebte, obwohl er
anders als diese Kameraden weder Frau noch Kind zurückgelassen hätte. Er fand,
dass er dies Glück nicht verdient hatte.
„Das hat nichts mit Verdienst zu
tun“, meint Miss Sofie aber sofort. „Glück und Pech sind zwei Seiten der gleichen Medaille.
Wenn du sie nur oft genug hochwirfst, gleicht sich das letztendlich wieder aus…
wie Kopf und Zahl bei einer Münze… jedenfalls muss man es auf das ganze Leben
beziehen.“
„Das stimmt nicht“, falle ich ihr sofort ins Wort. „Die Jugendlichen in
dem Buch von John Green sind unheilbar an Krebs erkrankt, wo soll denn da das
Glück sein und wo soll es denn noch herkommen, wenn man das Pech hatte schon
jung zu sterben? Die haben doch gar keine Chance gehabt!“
Sofie hat wohl das Gefühl, dass ich das Buch nicht richtig verstanden
habe, was durchaus sein kann, vielleicht habe ich da echt was überlesen,
vielleicht gab es da eine Art von Glück… die ich wirklich nicht kapiert habe… „…aber
es ändert doch nichts daran, dass diese Jugendlichen genauso vom Schicksal
verarscht worden sind, wie die Schüler, die mit dem Airbus abgestürzt sind.“
Miss Sofie schüttelt den Kopf.
„Motzi, wir haben doch schon mal darüber
gesprochen. Das Schicksal verarscht niemanden. Es ist völliger Unsinn auf das
Schicksal sauer zu sein. Es ist nicht gut und es ist nicht böse und es pellt
sich ein Ei auf den einzelnen Menschen. Es ist einfach nur eine hilflose Personifizierung
eines Prozesses, der weder Sinn noch Verstand hat, und den der Mensch weder
erklären noch steuern kann.
Der Mensch kann Flugzeuge steuern, aber er kann offensichtlich nicht
verhindern, dass immer mal wieder jemand hinter dem Steuer sitzt, der da nicht
hingehört. Ebenso wenig wie Geisterfahrer auf Autobahnen verhindert werden können.
Er kann noch so viele Regeln und Kontrollen in das gesamte Leben
einbauen, alles richtig und gut organisieren und dennoch passieren solche
Dinge, die dich wütend machen, weil sie ja auch wirklich so total ungerecht
wirken.“
„Aber warum? Warum trifft es so viele Unschuldige, eine Familie mit
einem Baby, eine Opernsängerin, die so vielen Menschen mit ihrer Stimme Freude
geschenkt hat…? Ich begreife das nicht! Diese Menschen haben doch so ein
bösartiges Schicksal nicht verdient.“
„Motzi, man verdient sich auch das Leben nicht, darüber haben wir doch
schon im Ginko-Baum diskutiert, man bekommt es einfach. Man wird in die Welt
geworfen und da ist man dann und muss sich arrangieren. Es gibt kein gutes oder
böses Schicksal, es gibt nur glückliche oder unglückliche Umstände… in einer
Welt, die so unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten für alles und jeden
bereithält, hat letztlich jeder die gleichen Chancen von Glück oder Unglück
getroffen zu werden.“
Ich glaube ihr das nicht. Muss aber zugeben, dass es dem Schicksal
zumindest egal zu sein scheint, ob es mit seinen Katastrophen gute oder
schlechte Menschen trifft.
„Aber dann stimmt es doch auch nicht, dass man selber für sein
Schicksal verantwortlich ist, dass man es nur selber in die Hand nehmen muss!“,
verstehe ich nun gar nichts mehr. „Wenn doch alles nur unberechenbarer Zufall
ist, dann muss ich mich doch gar nicht mehr anstrengen, aus meinem Leben was
Besonderes zu machen?!“
Ist doch so. Warum soll ich mich in der Schule anstrengen, wenn mich an
der nächsten Ecke, irgendein Amokfahrer umnietet? Kann doch passieren, wenn
alles Zufall ist in dieser Chaostheorie, an die Miss Sofie glaubt.
Sofie schweigt. Sie sieht unglücklich aus.
„Was ist? Bist du mit deiner Weisheit am Ende?“
Sie schüttelt zwar den Kopf, sagt aber ziemlich ehrlich: „Ich finde es
auch Scheiße, Motzi, und ich glaube, dass es Dinge auf der Welt gibt, die man
einfach nicht erklären kann. Aber man darf sich davon nicht runterziehen
lassen.“
„So was zieht mich aber runter, total, und es regt mich tierisch auf!“
„Mich auch“, sagt Miss Sofie und wir halten uns plötzlich an den Händen
und sind traurig und es ist einfach nur gut, dass wir uns haben und uns
gegenseitig trösten können.
Egal, ob das Schicksal ein mieser Verräter oder nur ein Haufen Chaos
ist, in dem immer mal wieder Teile zusammenknallen und persönliche oder globale
Katastrophen auslösen, ändern können wir
daran wohl nichts. Aber wir können die Herausforderungen, die damit vielleicht
auch für uns mal verbunden sein werden, durch unsere Freundschaft besser
bestehen.
Darum wünsche ich allen die traurig und unglücklich sind immer gute
Freunde an ihrer Seite.
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