"Und das Schicksal ist doch ein mieser Verräter!"

28. März 2015


Sage ich zu Miss Sofie, finde, dass der Titel von John Greens Buch die Situation dieses Flugzeugabsturzes sehr gut trifft und kann meinen Zorn darüber kaum bremsen. Was ist das denn aber auch für eine Gemeinheit, sechzehn Schüler erst im Glauben zu lassen, sie wären Glückskinder, weil sie bei der Verlosung für einen Schüleraustausch gewonnen haben, und sie dann eiskalt in den Tod zu schicken.
„Das ist doch voll der Hohn“, schimpfe ich und frage mich, wie sich die Schüler jetzt fühlen, die damals verloren haben, nun aber die Lucky Loser sind.

Ich muss an Opa Knackstedt denken, der mir mal erzählt hat, dass sein Vater, der im ersten Weltkrieg kämpfte, nie verwunden hat, dass neben ihm mehrere Kameraden von Kugeln zerfetzt wurden, während er überlebte, obwohl er anders als diese Kameraden weder Frau noch Kind zurückgelassen hätte. Er fand, dass er dies Glück nicht verdient hatte.

 „Das hat nichts mit Verdienst zu tun“, meint Miss Sofie aber sofort. „Glück und Pech sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Wenn du sie nur oft genug hochwirfst, gleicht sich das letztendlich wieder aus… wie Kopf und Zahl bei einer Münze… jedenfalls muss man es auf das ganze Leben beziehen.“
„Das stimmt nicht“, falle ich ihr sofort ins Wort. „Die Jugendlichen in dem Buch von John Green sind unheilbar an Krebs erkrankt, wo soll denn da das Glück sein und wo soll es denn noch herkommen, wenn man das Pech hatte schon jung zu sterben? Die haben doch gar keine Chance gehabt!“
Sofie hat wohl das Gefühl, dass ich das Buch nicht richtig verstanden habe, was durchaus sein kann, vielleicht habe ich da echt was überlesen, vielleicht gab es da eine Art von Glück… die ich wirklich nicht kapiert habe… „…aber es ändert doch nichts daran, dass diese Jugendlichen genauso vom Schicksal verarscht worden sind, wie die Schüler, die mit dem Airbus abgestürzt sind.“

Miss Sofie schüttelt den Kopf.

  „Motzi, wir haben doch schon mal darüber gesprochen. Das Schicksal verarscht niemanden. Es ist völliger Unsinn auf das Schicksal sauer zu sein. Es ist nicht gut und es ist nicht böse und es pellt sich ein Ei auf den einzelnen Menschen. Es ist einfach nur eine hilflose Personifizierung eines Prozesses, der weder Sinn noch Verstand hat, und den der Mensch weder erklären noch steuern kann.
Der Mensch kann Flugzeuge steuern, aber er kann offensichtlich nicht verhindern, dass immer mal wieder jemand hinter dem Steuer sitzt, der da nicht hingehört. Ebenso wenig wie Geisterfahrer auf Autobahnen verhindert werden können.
Er kann noch so viele Regeln und Kontrollen in das gesamte Leben einbauen, alles richtig und gut organisieren und dennoch passieren solche Dinge, die dich wütend machen, weil sie ja auch wirklich so total ungerecht wirken.“

„Aber warum? Warum trifft es so viele Unschuldige, eine Familie mit einem Baby, eine Opernsängerin, die so vielen Menschen mit ihrer Stimme Freude geschenkt hat…? Ich begreife das nicht! Diese Menschen haben doch so ein bösartiges Schicksal nicht verdient.“

„Motzi, man verdient sich auch das Leben nicht, darüber haben wir doch schon im Ginko-Baum diskutiert, man bekommt es einfach. Man wird in die Welt geworfen und da ist man dann und muss sich arrangieren. Es gibt kein gutes oder böses Schicksal, es gibt nur glückliche oder unglückliche Umstände… in einer Welt, die so unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten für alles und jeden bereithält, hat letztlich jeder die gleichen Chancen von Glück oder Unglück getroffen zu werden.“

Ich glaube ihr das nicht. Muss aber zugeben, dass es dem Schicksal zumindest egal zu sein scheint, ob es mit seinen Katastrophen gute oder schlechte Menschen trifft.
„Aber dann stimmt es doch auch nicht, dass man selber für sein Schicksal verantwortlich ist, dass man es nur selber in die Hand nehmen muss!“, verstehe ich nun gar nichts mehr. „Wenn doch alles nur unberechenbarer Zufall ist, dann muss ich mich doch gar nicht mehr anstrengen, aus meinem Leben was Besonderes zu machen?!“
Ist doch so. Warum soll ich mich in der Schule anstrengen, wenn mich an der nächsten Ecke, irgendein Amokfahrer umnietet? Kann doch passieren, wenn alles Zufall ist in dieser Chaostheorie, an die Miss Sofie glaubt.

Sofie schweigt. Sie sieht unglücklich aus.

„Was ist? Bist du mit deiner Weisheit am Ende?“
Sie schüttelt zwar den Kopf, sagt aber ziemlich ehrlich: „Ich finde es auch Scheiße, Motzi, und ich glaube, dass es Dinge auf der Welt gibt, die man einfach nicht erklären kann. Aber man darf sich davon nicht runterziehen lassen.“
„So was zieht mich aber runter, total, und es regt mich tierisch auf!“
„Mich auch“, sagt Miss Sofie und wir halten uns plötzlich an den Händen und sind traurig und es ist einfach nur gut, dass wir uns haben und uns gegenseitig trösten können.

Egal, ob das Schicksal ein mieser Verräter oder nur ein Haufen Chaos ist, in dem immer mal wieder Teile zusammenknallen und persönliche oder globale Katastrophen auslösen,  ändern können wir daran wohl nichts. Aber wir können die Herausforderungen, die damit vielleicht auch für uns mal verbunden sein werden, durch unsere Freundschaft besser bestehen.

Darum wünsche ich allen die traurig und unglücklich sind immer gute Freunde an ihrer Seite.

Eure Motzi


 

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